Hate Speech – eine Jugend(un)kultur


Hate Speech – Eine Jugend(un)kultur

Vergiss niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!

(erste Regel der Netiquette, ca. 1996*)

Hate Speech

Hate Speech – Digitale Hassrede

Laut der Forsa-Umfrage im Jahr 2016 der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) sind rund zwei Drittel der Befragten (im Alter 14+) schon einmal mit Hassbotschaften im Netz konfrontiert worden. Bei den 14- bis 24-Jährigen waren es sogar 91% (LfM 2006). Beleidigungen, üble Nachreden und auch Hass stellen im Internet aber kein neues Phänomen dar: „Strategien, Praktiken und Methoden der Herabsetzung, Verunglimpfung Einschüchterung und der Diskriminierung haben ihre digitale Form gefunden“ (Fleischhack 2017, 23). Umgesetzt wird dies in rassistischen Facebook-Gruppen, Beleidigungen in Kommentaren, homophoben Tweets oder diffamierenden YouTube-Videos. Der Begriff des Internet-Trolls bzw. des trollens ist schon seit den 1990ern eine verbreitete Bezeichnung für das aktive und bewusste Provozieren des Provozierens willens – bzw. der Person die dahintersteht. Viele Internetnutzer*innen nehmen eine Steigerung von Hass und Hetze im Internet wahr und auch aktuelle Studien (LfM 2006) belegen, dass die technologisch vermittelten Hassformen eine drastische Entwicklung eingenommen haben.

Hass im Netz

Die Amadeu Antonio Stiftung (2013) fast die Formen und Komponenten von Gewalt, Belästigung und Missbrauch wie folgt zusammen: Diskriminierung, Abwertung und Feindlichkeit gegenüber bestimmter sozialen Gruppen hinsichtlich deren ethischen Zugehörigkeit, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit, Alter, Behinderung oder Krankheit. Hajok schreibt im Jugend-Medien-Schutz-Report 1/2017 das Hate Speech zweierlei bedeutet:

  • Ein „öffentlich repräsentierter Hass, hinter dem letztlich eine auf bestimmte Gruppen einer Gesellschaft bezogene Menschenfeindlichkeit steht“ sowie
  • „oft auch eine gezielte Hetze gegen eben diese Gruppe, die nicht selten in offenen Aufruf zur Gewalt gegen Angehörige dieser Gruppe mündet“ (Hajok 2017, 2).

Im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen des Kinder- und Jugendschutzes ordnet Hajok dies einer sozial-ethischen Desorientierung zu, dass als Wirkungsrisiko für Kinder und Jugendliche vermieden bzw. unterbunden werden muss. In der Handreiche der LfM „Hate Speech – Hass im Netz“ werden konkrete und verständliche Beispiele für unterschiedliche Formen gezeigt:

1.) Bewusste Verbreitung uniformierter oder falscher Aussagen:

  • Die Flüchtlinge haben alle teure Handys.
  • Die Flüchtlinge müssen im Supermarkt nicht bezahlen.

2.) Tarnung als Humor oder Ironie:

  • Ich will ein neues Smartphone. Werd’ ich im nächsten Leben halt Asylant.

3.) Herabwürdigung und verunglimpfende Begriffe; sexistische und rassistische Beleidigungen:

  • Kanake.“, „Schwuchtel.“, „Schlampe.

4.) Bedienen von Stereotypen und Verurteilungen durch bestimmte Begriffe und Sprachmuster:

  • Homo-Lobby.“, „Asylantenflut.“, „Das Boot ist voll.“, „Ausländer raus.“, „Drohende Islamisierung.

5.) Verallgemeinerungen:

  • Alle Griechen sind faul.

6.) Wir/Die-Rethorik:

  • Die bedrohen ‚unsere‘ Frauen.

7.) Verschwörungstheorien:

  • Der Staat will unsere Kinder zu Homosexuellen erziehen.
  • Die Politik unterstützt die Islamisierung Deutschlands.

8.) Plakative Bildsprache:

  • Rassistische Darstellung z. B. von schwarzen Menschen mit Baströcken.
  • Bilder, die Stereotypen reproduzieren, indem sie z. B. muslimische Männer mit Sodomie in Verbindung bringen.

9.) Gleichsetzung:

  • Juden = Israel
  • Gleichsetzung von Homosexualität mit pädosexueller Kriminalität, Inzest oder Sodomie.

10.) Befürwortung oder Androhung sexualisierter Gewalt – oft in konzentrierter Form:

  • Ein Beispiel dafür ist das sogenannte #GamerGate. Unter diesem Hashtag organisierte sich 2014 in den Sozialen Medien so viel Hass in Form von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die sexismuskritische Videobloggerin Anita Sarkeesian, dass sie zeitweise untertauchen musste. Öffentliche Auftritte der Bloggerin mussten wegen Bombendrohungen abgesagt werden.

11.) Befürwortung von oder Aufruf zu Gewalttaten:

  • Die sollte man alle abknallen/verbrennen/vergasen.
  • An den Galgen mit ihnen.“ (LfM 2017, 12).

Der technologisch vermittelte Hass hat sich aus den teilweise versteckten oder nicht öffentlich beachteten Bereichen des Internets mit eingeschränkten Nutzergruppen über eine sog. Teilöffentlichkeit (Strobel 2017, 30) der Sozialen Medien bis in den öffentlichen Diskurs verbreitet. Die Teilöffentlichkeit ist nach Strobel dadurch entstanden, dass den „Medien“ (Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsendern, Tageszeitungen etc.) eine unbefangene Berichterstattung bei Nachrichten bspw. über die Ukraine-Krise 2014 abgesprochen wurde. Gegen die „von Oben“ gelenkten offiziellen Medien wir eine digitale Opposition gestellt, die die eigentliche Wahrheit verbreitet. In der gesamtgesellschaftlich geführten Debatte über Flüchtlinge im Jahr 2015 nahm die Radikalität in der Ausdrucksform erheblich zu: „Wie dumm muss man sein…“ ist etwas grundsätzlich anderes als „Dir sollte man den Kopf abschneiden“ (Strobel 2017, 31). Hate Speech im Internet wird sicherlich aus politisch und ideologisch motivierten Gründen genutzt, um die jeweiligen Gegner anzugreifen und die eigene Meinung publik zu machen. Auf der Subjektebene gibt es nach Schmitt vier Motivlagen, warum einzelne Menschen diese Form nutzen: 1.) Ausgrenzung, 2.) Einschüchterung, 3.) Dominanz und Deutungshoheit und 4.) Spaß und Nervenkitzel (Schmitt 2017, 52 ff.). Bei der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen sind diese vier Aspekte in Bezug auf die jugendliche Entwicklung und der damit verbundenen Identitätssuche wichtige Anhaltspunkte. Eine Analyse in diesem Sinn kann Anhaltspunkte für Ziele und Methoden geben, die in Projektkonzepten verwendet werden können.

Sozialisation in der Jugendphase

Bezogen auf technologisch vermittelten Hass ist zunächst der Blick auf die allgemeine Sozialisation von Jugendlichen in der heutigen Internetgesellschaft bzw. deren Wandel interessant. in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft verändert sich die Lebenswelt und die Sozialisation der Heranwachsenden vermehrt durch die Anwendungen und die Möglichkeiten des Internets und der digitalen Medien. Allen voran die Social Media Angebote wie WhatsApp, Instagram, Snapchat oder Facebook. Diese werden nach der JIM-Studie 2016 etwa 50% der Jugendlichen genutzt (MPFS 2016) – WhatsApp sogar von 95%. Digitale Medien bieten den Jugendlichen Ermöglichungsräume in denen Entwicklungsaufgaben (Kernherausforderungen der Jugendphase) wie bspw. die Selbstpositionierung in der Gesellschaft (Tillmann 2016, 17) bewältigt werden. Auch der 15. Kinder- und Jugendbericht 2017 nennt neben der Qualifizierung und der Verselbständigung die Selbstpositionierung als dritten diagnostizierten Eckpfeiler des Jugendalters. Unter der Selbstpositionierung wird die Entwicklung einer eigenen Haltung, einer eigenen Meinung und eines eigenen Weges im Verhältnis zu den Mitmenschen, der Gesellschaft und Werten verstanden (Rauschenbach 2017, 7). Die Medien werden auf der einen Seite dazu genutzt, um sich zu verorten und zu Ideen, Vorstellungen oder einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Auf der anderen Seite sorgen sie aber auch für das nötige Ausbalancieren der eigenen Position mit bestehenden Ansichten und Werten. Dies bedeutet eine Auseinandersetzung und eine Abgrenzung von der Erwachsenwelt – vertreten bspw. durch die Eltern, Lehrer*innen oder Sozialarbeiter*innen. In der Adoleszenz bedeutet die Auseinandersetzung ein Erproben und Ausloten der Werte und Normen der Gesellschaft bzw. der Erwachsenenwelt – oft ein aktiver Ansturm (rebellisches Verhalten oder Provokation) gegen die Symbole und Vorstellungen der Erwachsen. Dazu wurden schon immer Medien, wie Musik, Filme oder mediale Vorbilder, genutzt. Da in der aktuellen Gesellschaft die Trennung zwischen Jugendlich und Erwachsensein nicht mehr klar gezogen werden kann (Rauschenbach 2017, 5), wird die Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen durch ein Verhalten oder durch eine Mediennutzung – wie bspw. Musik – schwierig. Die Folge ist bisweilen die Notwendigkeit einer immer drastischeren Abhebung durch extremeren Texten, Bildern bis zu grenzüberschreitenden Botschaften (Hajok 2017, 3) – wie es bspw. durch Hate Speech der Fall ist. Ein weiterer Teil der Identität wird durch die Zuordnung zu einer sozialen Gruppe (Verein, Fangruppen, Partei, Jugendkultur etc.) definiert. Der Anschluss an eine bestimmte Gruppe schließt die Identifikation mit den in den jeweiligen Gruppen herrschenden Gruppennormen und -zielen ein (Schmitt 2017, 52). Die Abgrenzung gegenüber anderen (fremden) Gruppen kann zu einer Stärkung der Gruppenzugehörigkeit und der Festigung des Zusammenhalts in der Gruppe durch gemeinsame Gruppennormen und -ansichten führen. Hate Speech gegen Minderheiten oder andere Gruppen bietet hier die Möglichkeit die Verbundenheit zu einer Gruppe bzw. die Abgrenzung zu einer anderen Gruppe zu bestätigen oder zu verstärken. Ein Dritter wichtiger Aspekt der Identitätsfindung ist die Orientierung an Vorbildern. Diese Vorbilder werden von Jugendliche aus unterschiedlichen Quellen – wie der Familie, dem direkten Umfeld oder Berühmtheiten im Sport, Musik etc. aber auch aus Medienangeboten wie Filmen, Büchern, Youtube-Kanälen und anderen Social-Media-Angeboten gesucht. Durch die mittlerweile fast „hoffähig“ gewordenen diffamierenden Umgangsformen im Internet, wie bspw. Tweets von Staatspräsidenten und die Erweiterung von Hass und Hetze im Internet, wird Jugendlichen ein Vorbild durch die Erwachsenenwelt geboten. Innerhalb der jugendlichen Entwicklung bietet der Hass gegen Personen oder Gruppen für die Identitätssuche somit verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Aus gesellschaftlicher und pädagogischer Sicht sollten hier Wege eingeschlagen werden, damit Jugendlichen auf andere, sozialere Formen zurückgreifen können.

Das Internet ist kaputt – wir müssen es reparieren

Was kann in diesem Sinne unternommen werden? Nach der Bitkom-Studie von 2015 haben darauf die Nutzer*innen folgende Antworten gegeben:

  1. „Von den Betreibern wünschen sie sich eindeutige Hinweise, wie sich die Nutzer*innen im Internet verhalten sollen.
  2. Eine schnelle Löschung von Hasskommentaren und Sperrung der Accounts der Verfasser*innen.
  3. Ein stärkeres Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Hasskommentare.
  4. Hasskommentare verstärkt mit Argumenten wiederlegen“ (Hajok 2017, 5).

Hier zeigen sich klar die Wünsche seitens der Nutzer*innen auf ein stärkeres Eingreifen seitens der Betreiber und des Staates. Im Bereich der medienpädagogischen Arbeit gibt es einen anderen interessanten Zugang: Seit einer Weile gibt es unterschiedliche Projekte die mit sog. „Counter Narrative“ auf Plattformen arbeiten, die sich offensiv gegen Hetzte stellen. Durch Video, Fotos oder Texte werden offen und direkt eine Stellung gegen Hass im Internet bezogen. Dies geschieht durch auf Blogs, Tweets, YouTube und Instagram und nutzt auch aktuelle Trends und (Internet-)Berühmtheiten. Ob dies gegen die Etablierung von Hate Speech als neue Kommunikationskultur etwas ausrichten kann, wird sich noch zeigen (Hajok 2017, 5). Im Rahmen von Projekten mit Jugendlichen und in der pädagogischen Arbeit bietet dies sicher auch eine Möglichkeit, im Sinne eine thematische Sensibilisierung und auch als Partizipation an der Internetwelt diesen Ansatz zu nutzen. Es müssen allerdings auch Wege gefunden werden, Jugendliche eine Abgrenzung und Positionierung zu ermöglichen, ohne dass sie auf eine Steigerung eines „Schockmoments“ zurückgreifen müssen. Für die Auseinandersetzung mit Hass im Netz bietet ein emotionaler Zugang über die Wirkungen von Hetze, Hass, Diffamierungen und Beleidigungen auf die Betroffenen eine gute Möglichkeit für Intervention und Prävention. Ganz im Sinne der fast 30 Jahre alten Netiquette-Regel: Vergiss niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!

Literaturverzeichnis

  • Amadeu Antonio Stiftung (2013): Viraler Hass: Rechtextreme Kommunikationsstrategien im Web 2.0. URL: http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/viraler-hass.pdf [letzter Aufruf: 1.2.2018]
  • Fleischhack, Julian (2017): Der „Hass“ hat viele Formen. In: Kai Kasper, Lars Gräßler, Aycha Riffi (Hrsg.): Online Hate Speach – Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. Kopead Verlag. Düsseldorf-München. S. 23- 28.
  • Hajok, Daniel (2017): Hate Speach. Hass und Hetzte im Netz als Thema des Kindes- und Jugendschutzes. In: Jugend Medien Schutz-Report – Februar 1/2017. Nomos Verlag. Baden-Baden. S. 2-6.
  • LfM – Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (2016): Ethik im Netz – Hate Speach / Forsa Untersuchung. URL: http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Service/Veranstaltungen_und_Preise/Medienversammlung/2016/EthikimNetz_Hate_Speech-PP.pdf [Abruf: 1.2.2018]
  • LfM – Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (2017): Hate Speech – Hass im Netz / Informationen für Fachkräfte und Eltern“ (3. Auflage). Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Landesstelle NRW e. V.. Düsseldorf.
  • MPFS – Medienpädagogischer Forschungsbund Süd-West (2016): JIM-Studie 2016. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger. Stuttgart.
  • Rauschenberger, Thomas (2017): Jugend – eine vernachlässigte Altersphase. In: DJI Impulse. Nr. 115, 1/2017. Deutsches Jugendinstitut. München. S. 4-7.
  • Schmitt, Josephine B. (2017): Online Hate Speech: Definition und Verbreitungsmotivationen aus psychologischer Perspektive. In: Kai Kasper, Lars Gräßler, Aycha Riffi (Hrsg.): Online Hate Speach – Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. Kopead Verlag. Düsseldorf-München. S. 51- 55.
  • Strobel, Cornelius (2017): Die Grenzen des Dialogs. Hate Speech und politische Bildung. In: Kai Kasper, Lars Gräßler, Aycha Riffi (Hrsg.): Online Hate Speach – Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. Kopead Verlag. Düsseldorf-München. S. 29- 33.
  • Tillmann, Angela (2017): Digital vernetzt. In: DJI Impulse. Nr. 115, 1/2017. Deutsches Jugendinstitut. München. S. 16-19

* Beispiel für die Netiquette aus dem Jahr 1996 der Freien Universität Berlin: http://kirste.userpage.fu-berlin.de/outerspace/netnews/netiquette

Artikel als Download (PDF):

Hate Speech-Eine Jugendunkultur (Version vom 09.02.2018)